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ERINNERUNGEN

AXELS FREISCHWIMMER

Stolz wie Oskar war ich an diesem 29. Juli 1959. Geschafft! Ich habe meinen Freischwimmer im noch recht neuen Meerwasser-Freibad von Wangerooge bestanden. Endlich durfte ich stolz das Abzeichen mit der einen Welle auf meiner Badehose tragen.

MOIN NR. 4 · 2020

Sehr gut kann ich mich noch an den täglichen Schwimmunterricht erinnern. An das unbeheizte und trübe Salzwasser, das so merkwürdig schmeckte, den Körper aber angeblich viel besser tragen sollte als das Süßwasser im heimischen Freibad. Davon allerdings habe ich rein gar nichts gemerkt! Und das viertelstündige Schwimmen am Prüfungstag zog sich gefühlt einen halben Tag lang hin.

Zur Badezeit am nächsten Tag ging ich vom Strandkorb aus ganz nahe am Badeturm vorbei ins Meer. Dass ich jetzt echter Freischwimmer bin, ja, das mussten auch die Rettungsschwimmer unbedingt sehen!

1959 sah das Urlaubsleben auf Wangerooge noch völlig anders aus als heute. Vormittags, sofern man keine Anwendungen hatte wie Warmbäder, Fango oder Massage, saß der Kurgast in der Biomaris-Trinkkurhalle bei einem der Verdauung dienlichen Glas Salzwasser mit Orangengeschmack. Im Strandkorb wurde die Bäderzeitung studiert, auch damals schon der Wangerooger Inselbote. Dort konnte man nachlesen, dass Kaufmann Schulz-Hohenstein aus Duisburg nebst Gattin am Vortag an- und wie jedes Jahr für vier Wochen im Hotel Fresena untergekommen ist. Und dass der Beamte Heinz-Fredo Viedge mit Gattin Helga und ihrem Sohn Roland aus Bremen die nächsten drei Wochen bei Familie Strasser in der Richthofenstraße 2 wohnen würden.

Zum Mittagessen ging man ins Hotel, oder aber in die Fischbratküche, die sich ja immer noch in der Elisabeth-Anna-Straße befindet. Oder zu »Flunki« Siemens in die Milchbar Regina. Ferienwohnungen gab es noch nicht. An Unterkünften standen lediglich Hotels oder Pensionen zur Verfügung. In nicht wenigen Pensionen zogen die Insulaner während der Sommermonate in ihre Keller, um die Privaträume an Feriengäste vermieten zu können.

Vor Sonnenuntergang traf man sich auf der Promenade. Sie war bei schönem Wetter wirklich rappelvoll mit Flaneuren. Nur verhalten wurde die Familie des Burgnachbarn gegrüßt, auf Etikette wurde noch größten Wert gelegt.

Lockerer freilich wurde es abends in den Kneipen, in der Kupferkanne des Hotel Fresena, in der Friesenstube des Hotel Hanken oder im Lokal Nordlicht des gleichnamigen Hotels. Ganz besonders hoch schlug die Stimmung, wenn im »Fresena« oder im »Monopol« zum Tanz aufgespielt wurde, wenn Billy Mo oder die »Vier Harmoniker« angekündigt waren. Zu den Kalauern von Heinz Erhardt wurde für die Damen ein »Kullerpfirsich« und für die Herren ein »Herrengedeck« bestellt und man amüsierte sich königlich. Und wenn man am nächsten Tag Billy Mo mit »seiner reizenden Frau und den niedlichen Kindern« vor der Süßen Ecke auf der Zedeliusstraße begegnete, ja, da hatte man was zu erzählen!

Auf der Zedeliusstraße gab es das Photogeschäft von Karl und Alois Ungermann. Bereits bei Ankunft des Schiffes war einer der Ungermann-Brüder am Hafen und lichtete die ankommenden Gäste auf der Gangway ab, die bereits am Abend auf Schautafeln vor dem Ladenlokal die Bilder ansehen und für sich einen Abzug bestellen konnten. Und während des Tages hörte man am Strand das melodische: »Hallo, ein Sonnenphoto!« Wunderbare Bilder mit einer ganz eigenen Bildästhetik haben die Ungermanns über viele Jahre am Strand und beim Baden fotografiert. Beim Café Pudding gab es noch ein weiteres Fotogeschäft, Photo-Becker. Auch Konkurrent Becker war bei der Schiffsankunft am Hafen und stellte schon wenige Stunden später die Bilder der Gäste auf Schautafeln vor dem Laden aus.

Zwei unterschiedliche Tabakläden buhlten auf der Zedeliusstraße um Kundschaft. Neben Ungermann war Tabak Niemeyer und auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Geschäft von Hartmut Zimmermann. Selbst bei Drogerieartikeln hatte man die Wahl, kaufe ich bei Brune neben der Buchhandlung oder bei Drogerie Philips Richtung Bahnhof? Vis-á-vis davon hielt Textil-Clemens eine reiche Auswahl an hochwertiger Garderobe sowie einfacher Strandbekleidung vor. Auch das Geschäft von »Von der Ahn« gab es bereits. Hier wurden ab Nachmittag die Tageszeitungen verkauft, die mit dem Tideschiff angekommen waren, hier gab es alles, um eine attraktive Strandburg zu gestalten. Fähnchen, Schaufeln, selbst Leihschaufeln wurden angeboten. Die Reichkriegsflagge, die im festländischen Alltag geächtet war, konnte für die eher deutschnationale Burg erworben werden, Strandspielzeug für die Kinder, Postkarten, Souvenirs und Mini-Seehunde aus echtem Seehundfell. In Glasfläschchen die alkoholische Spezialität »Seehund männlich«, herb mit blauem Verschluss, oder »Seehund weiblich«, süß mit rotem Verschluss natürlich.

Es war die Zeit des Aufbruchs und des Wirtschaftswunders, des Jetzt-gönnen-wir-uns-wieder-was. Es war ebenso die Zeit des Vergessens und des sturen Nur-nach-vorne-Schauens. Niemand wollte mehr an die vergangenen Jahrzehnte erinnert werden, die man erst begeistert bejubelt und dann verzweifelt gerade so hat überleben können.

War der Urlaub vorüber und die Heimreise musste gen Bremerhaven angetreten werden, so ging es vom Bahnhof noch entlang der Siedlerstraße zum stetig versandenden Ostanleger. Nur Richtung Harle legten die Schiffe vom Westanleger ab. Bei der Begegnung mit dem Gegenschiff riefen die heimkehrenden Urlaubern den ankommenden melodisch ein »Oh, wie bla-haß« zu, erwidert von den Neugästen »Oh, wie brau-haun«.

Diese idyllische Welt hielt sich auf Wangerooge ein wenig länger als auf dem Festland. Aber die neue Zeit mit größerem politischen Bewusstsein, mit der von Frauen eingeforderten Emanzipation und dem Aufbegehren der Jugend ließ sich im Laufe der 1960er Jahre natürlich auch nicht mehr durch das Wattenmeer aufhalten.

Text: AXEL STUPPY

FOTOS: Privat

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