Previous slide
Next slide

Inselstory

Wie das Windsurfen nach Wangerooge kam

Der Wind nimmt beständig an Stärke zu, die Brandung tobt zunehmend ungestüm und bis zum Horizont bedecken Schaumkronen das Meer. Das ist die Stunde der Kitesurfer, die ihre Bretter an die Wasserkante tragen, um sich von ihren Drachen durch die tosende Brandung ziehen zu lassen, steile Wellen abreiten und mit spektakulären Manövern bei manchem Zuschauer den Atem stocken lassen. Es scheint in diesen Momenten, als hätte es solch sensationelle Bilder auf Wangerooge schon immer gegeben.

MOIN NR. 3 · 2020

Dabei begann diese Entwicklung erst in den 1960er Jahren in den USA. Newman Darby entwickelte ein Segelbrett, das das Erlebnis des Wellenreitens mit der Bequemlichkeit einer Segeljolle kombinieren sollte. Das Patent darauf wurde 1970 Jim Drake verliehen, der zu dem Stehsegler einen beweglichen Gabelbaum konstruiert hatte. Hoyle Schweitzer entwickelte das Windsurfen in den USA während der kommenden Jahre immer weiter zu einer echten Trendsportart. In Deutschland produzierte Fred Ostermann mit dem Windglider ein Board, das zeitweise die Weltmärkte beherrschte und sogar bei der Olympiade 1984 zum Einsatz kam.

Aber soweit war es noch lange nicht, als auf Wangerooge 1976 das erste »Stehsegler-Brett« auftauchte. Bei den Rettungsschwimmern Otto Oldenburg und Volker Teichmann entfachte dieses Gerät große Neugier und sportlichen Ehrgeiz. Wie bloß soll das funktionieren? Es gab damals überhaupt noch keine Anleitung, wie man dieses rätselhafte Brett handhaben muss. Und das Internet? Wir schreiben das Jahr 1976, und ans Internet dachte noch lange Zeit niemand.

»Falk aus der Tenne hatte ein solches Ten-Cate-Brett, das Volker und ich ausprobieren durften. Und Schwimmerkollege Frank lieh uns gegen die kalte Nordsee seine Taucherjacke«, erinnert sich Otto Oldenburg. »Der Surf-Bazillus hatte uns gepackt und es wurde geübt und geübt und geübt. Irgendwie, da waren wir uns ganz sicher, muss das funktionieren! Wir bestiegen Dutzende von Malen das Brett, versuchten das Segel hochzuziehen und fielen Dutzende Male ins Wasser. Und eines Tages endlich klappte es dann doch.« Nur der kleine Trick, beim Start den Mast ein wenig nach vorne zu kippen, bedeutete den Unterschied zwischen Sturz und rasanter Fahrt. Den ganzen Sommer über perfektionierten Oldenburg und Teichmann ihre Fahrkünste. 

Otto konnte dann ein eigenes Brett erwerben, das ein völlig frustrierter Kurgast entnervt auf der Insel gelassen hatte. Volker brachte zur nächsten Saison sein neues Windglider-Board nach Wangerooge. 

Vom Priel aus ging es dann endlich raus in die Welle – und das mit den schwierig zu manövrierenden Brettern, den damals so ungünstig geschnittenen Segeln und einem 3,60m langen bleischweren Holzgabelbaum. Aber die durchtrainierten Athleten hatten einen Heidenspaß daran, mit dem Wind in den Händen über Wasser und Wellen zu ­gleiten. 

Diesen Spaß teilten sich überall an der Nordseeküste zahlreiche Wassersportler. Auf Sylt entstand um die dortigen Rettungsschwimmer herum eine begeisterte Windsurf-Gemeinde, ebenso auf Norderney. Und auch aus dem Binnenland tauchten an der Küste vermehrt junge Leute mit ihren unhandlichen Brettern auf, die sich in den Nordseewellen ausprobieren wollten. 

Die ersten Steh- und Fahrversuche beobachtete von der Promenade aus sehr interessiert Detlef Engelmeier, der damalige Wirt des »Ahoi« und selber Segler. Er fand das alles ganz spannend und hatte die Idee zu einer Surfschule auf Wangerooge. Während er im Winter mit der Kurverwaltung die Konditionen aushandelte, erwarb Otto am Starnberger See seine Lizenz als Windsurf-Instruktor.

Schon 1978 eröffnete Engelmeier mit fünf Surfboards, viel Segeljollen und zwei Strandseglern die »Surf- und Segelschule Wangerooge«. 

Es war ein riskanter Einstieg, denn ob dieser neue Trendsport auch auf Wangerooge angenommen werden sollte, war damals noch höchst ungewiss. Nur ein bescheidener ­Kiosk bildete anfänglich das Windsurf-Zentrum. Jan-Holgar Borm als Segellehrer und vor allem Otto Oldenburg und Volker Teichmann als Surf-Instruktoren vermittelten den meist jungen Gästen die Grundlagen des Windsurfens und damit verbunden auch ein bisschen das kalifornische Lebensgefühl von Freiheit und Unbeschwertheit. Surf, sun and fun war nun auch auf Wangerooge angekommen!

»Den Theorieunterricht hielten wir im Strandkorbschuppen ab und den praktischen Unterricht im Priel zwischen dem damaligen West- und dem Hauptbad. Bei »Hack«, also bei Starkwind, zogen wir die Boards auf Strandkorbwagen ins Watt beim Deichschart. Das war immer wie eine kleine Prozession.« Da Otto und Volker bei Flut ihren Job als Rettungsschwimmer am Strand ausüben mussten, der Surfunterricht aber hauptsächlich bei Ebbe stattfand, konnte sie ihre beiden Jobs perfekt aufeinander abstimmen. 

EINE GUTE WELLE

Lief bei wenig Wind eine gute Welle, ließen sich auch die ersten Wellenreiter in der Brandung entdecken, ebenso Bodysurfer, die sich nur von ihrem Körper oder mit Hilfe eines Boogieboards von der Welle bis an den Strand schieben ließen. Die ersten Hobie-Cat-Segelboote tauchten auf, die dem Segeln eine ganz neue Dimension verliehen. Bei Niedrigwasser schossen die Strandsegler über den harten Sand gen Osten. Am Wangerooger Strand gab es reichlich Segelaktivität zu bestaunen!

Die Entwicklung des Windsurfens schritt rasant voran. Die Bretter wurden kleiner und wendiger, und damit besser geeignet für schnelle Manöver in der harten Nordseebrandung. Nun konnten die Experten mit handgefertigten Brettern schon die Wellen für hohe Sprünge nutzen. Die Begeisterung für diesen neuen Sport wuchs stetig. Lutz Lenze und Hajo Albrecht wurden als erste Insulaner vom »Surfvirus« infiziert und entwickelten sich zu ausgezeichneten Könnern. Auf diesem Weg sollten ihnen in den nächsten Jahren noch viele andere Wangerooger folgen.

Tagsüber hielten sich die Surfer und Surferinnen am Weststrand unterhalb der Strandkorbschuppen auf, damals schon am gleichen Platz wie heutzutage. Tipps wurden ausgetauscht, es wurde geschäkert und gefachsimpelt, und gewiss türmte sich bei den Erzählungen die eine oder andere Welle viel steiler auf als sie tatsächlich gewesen war. Alle Surffreunde waren hier willkommen, ob Anfänger oder »Crack«, ob Mann oder Frau, ob jung oder älter, es war eine Gemeinschaft, lediglich geprägt durch die Freude am Windsurfen. 

IM TSCHAKO ODER AHOI …

Abends traf sich die ganze Szene in den angesagten Kneipen wieder, im Tschako, im Ahoi und natürlich im Hard-Rock-Café. Dort feierten die jungen Leute ihren grandiosen Strand- und Surftag, die höchste Welle, den gewaltigsten Sprung und den spektakulärsten Wellenritt. Und nicht zuletzt das so unbeschwerte Leben, das sie auf Wangerooge führen konnten.

Wenn am östlichen Horizont zaghaft der neue Tag dämmerte, blieben das Donnern der Brandung und das Rauschen des Windes weiter in den Träumen der Surfer lebendig. Bis zum nächsten Vormittag jedenfalls, dann führte sie ihr Weg wieder vorbei am Café Pudding, über die Promenade und hinunter zum Surfstrand, einem weiteren fabelhaften Inseltag entgegen.

Text: Axel Stuppy

Diese Website verwendet Cookies – nähere Informationen dazu und zu Ihren Rechten als Benutzer finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Klicken Sie auf „Ich stimme zu“, um Cookies zu akzeptieren und direkt unsere Website besuchen zu können.